Wieso sich China als Reiseziel für digitale Nomaden eignet (und wieso nicht)

Das Land der Mitte gilt nicht unbedingt als Nomaden-Hotspot. Es hat jedoch viel zu bieten und wer noch nie zuvor dort war, hat ohne Zweifel gewaltig etwas verpasst.

Ich habe 2009 ein halbes Jahr in China verbracht und möchte die Zeit dort definitiv nicht missen.

Man bekommt eine andere Sicht auf dieses gigantische Reich und erlebt die eine oder andere Überraschung. Auch Oliver vom Weltreiseforum hat viele Jahre in China gelebt und erzählt Dir im folgenden Gastartikel, ob sich das Land als Nomaden-Destination eignet oder nicht. Los geht es mit Olivers Artikel:

Ein halbes Jahrzehnt lebte ich in Peking. In dieser Zeit ging ich auch zwei Jahre einer ortsunabhängigen Arbeit nach: ich redigierte und korrigierte Texte für einen chinesischen Verlag. Ich musste für diese Aufgabe jeden Tag ein paar Stunden online sein. Doch wo ich mich genau ins Internet einwählte, spielte keine Rolle. Für mich war das eine großartige Möglichkeit, China kennenzulernen und dennoch ein sicheres und einigermaßen vernünftiges Einkommen zu erwirtschaften.

Seither wurde ich immer wieder gefragt, ob sich China für digitale Nomaden eignet. Für mich ging alles hervorragend auf: Ich mag China; ich konnte das Geld dort ausgeben, wo ich es verdiente; ich hatte eine hübsche Wohnung an der Vierten Ringstraße und da ich sogar eine Arbeitsbewilligung bekam, gab es auch keinerlei Probleme mit nervenden Visa-Runs.

Die meisten digitalen Nomaden zieht es nach Thailand, Malaysia, Südafrika oder auch in einige Städte in Südamerika. China wird in den einschlägigen Kreisen nur selten als ein mögliches Ziel genannt. Ich finde: zu Unrecht! Digitale Nomaden können gut auch eine Weile in China verbringen. Zwar bringt das Land eine Reihe von Nachteilen mit sich, allerdings bietet China auch grandiose Vorteile.

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5 Gründe, die für China sprechen

1) Der Preis: China ist zwar nicht das Billigland, das es einst war. Aber noch immer kannst du für sehr wenig Geld recht gut leben. Für 400 Euro bekommst du in Peking oder Shanghai eine vernünftige 2-Zimmerwohnung mit etwa 45-50 Quadratmetern. Zieht es dich in kleinere Städte bist zu sogar mit 100 bis 200 Euro locker dabei. Bei einem Restaurantbesuch lässt du irgendwas zwischen 2 bis 5 Euro liegen. Die Taxis sind auch bei längeren Strecken nicht teurer als bei uns die Straßenbahn. Ich gab pro Monat weniger als 1000 Euro aus – und hab nie groß auf den Preis geschaut.

2) Die Sicherheit: Für mich gehört es zur Lebensqualität, dass ich mir keine Gedanken machen muss, wann und wo ich mich bewege. China gilt als sehr sicheres Land. Du kannst auch mitten in der Nacht problemlos durch die Städte oder Vororte nach hause laufen und brauchst dir keine Sorgen zu machen, dass du irgendwo überfallen oder vergewaltigt werden könntest. Außerhalb der Touristenzentren wirst du auch nie von nervenden Verkäufern angesprochen. Ich habe mich in den meisten chinesischen Städten wegen der vielen Menschen, die auch spät abends noch unterwegs sind, subjektiv sogar sicherer gefühlt als in meiner Heimatstadt in der Schweiz.

3) Die Offenheit der Menschen: Wenn ich in einem anderen Land bin, möchte ich nicht unbedingt mit anderen Touristen oder Ausländern rumhängen, sondern Menschen vor Ort kennenlernen. Obwohl ich bei neuen Bekanntschaften grundsätzlich eher zurückhaltend-defensiv bin, ist es mir in China nie schwer gefallen, Leute kennenzulernen. Ich wurde immer wieder von neugierigen Einheimischen angesprochen. Anders als bei uns in Europa ist es auch vollkommen in Ordnung, nach einem kurzen Gespräch im Fahrstuhl Namenskarten auszutauschen.

4) Die guten Sprachkenntnisse: Ich weiß, in diesem Punkt gehen die Meinungen auseinander. Aber gerade in den Städten an der Ostküste fand ich stets so viele Leute mit hervorragendem Englisch, dass mein Chinesisch auch nach so vielen Jahren im Land nicht wirklich gut ist. Natürlich hängt das davon ab, mit dem du dich umgibst. Taxifahrer und andere einfache Dienstleister, mit denen du immer wieder zu tun hast, sind selten wirklich sprachgewandt. Aber meine Erfahrung war:  Wenn jemand kein Englisch sprach, war doch immer jemand in der Nähe, der übersetzen konnte oder es gab jemanden, den wir anrufen konnten.

5) Café Infrastruktur: Wenn ich mich konzentrieren muss, arbeite ich zwar lieber in den eigenen vier Wänden. Aber bisweilen finde ich es auch inspirierend, in einem Café meine Pendenzenliste abzuarbeiten. Selbst in kleineren Städten gibt es meist eine gute Auswahl an geschmackvoll eingerichteten Starbucks-Varianten, die fast immer über Wifi verfügen. Meistens ist tagsüber recht wenig los, so dass du dich auch gut konzentrieren kannst. Einziger Wehrmutstropfen: das allgemeine Rauchverbot wird nicht immer durchgesetzt.

Arbeiten in der Kälte5 Gründe, die gegen China sprechen

1) Das Internet: Eines der größten Mankos für digitale Nomaden ist das stark zensierte Internet. Praktisch alle ausländischen sozialen Netzwerke sind in China gesperrt: Facebook, Twitter, Google Plus kannst du nicht ohne weiteres aufrufen. Nur Flickr war zum Zeitpunkt, als dieser Artikel entstand, (wieder) benutzbar. Wenn dir also solche Seiten bei der Arbeit (oder auch bloß für das Wohlbefinden) wichtig sind, solltest du dich noch vor der Einreise vorbereiten. Einige Möglichkeiten dazu habe ich hier zusammengefasst. Sieht man jedoch von der Zensur ab, ist das chinesische Internet vergleichsweise schnell und recht zuverlässig.

2) Die Luftverschmutzung: Zwar sind die Bilder von einer apokalyptischen, im eigenen Dreck erstickenden Stadt, die du vermutlich aus der Zeitung und dem Fernsehen kennst, seltene Extremfälle und der Normalfall ist viel weniger tragisch. Aber es lässt sich trotzdem nicht wegdiskutieren, dass Smog ein riesiges Problem ist, das dir insbesondere im Winter und im Norden des Landes den Aufenthalt ganz schön vermiesen kann. Einzig die tropische Inselprovinz Hainan, ganz im Süden des Landes, hat so gut wie keine Smog-Probleme.

3) Das Visum: Ein chinesisches Visum einzuholen, ist ein Spießrutenlauf. Denn die Volksrepublik will es uns genauso schwer machen, wie wir es chinesischen Bürgern machen, ein Schengenvisum zu erhalten. Das heißt konkret: Du brauchst Hotelreservationen (oder eine Einladung) für die ganze Zeit, die du im Land bleiben willst, du (oder ein Vertreter von Dir) muss die Papiere persönlich auf der Botschaft vorbeibringen und seit einiger Zeit sind auch keine Expressvisa mehr möglich.

Noch dazu ist der ganze Spaß mit 50 Euro für ein Einmonatsvisum relativ teuer – und Verlängerungen sind ebenfalls voll mit bürokratischen Hürden. Ein Vorteil ist aber: Wenn du länger im Land bleiben willst, kannst du mit dem nötigen Kleingeld und der Hilfe von Visa-Agenten praktisch jeden Aufenthaltsstatus bekommen, den du willst.

4) Kein Unternehmergeist:  Nein, ich will nicht behaupten, dass es in China keinen Unternehmergeist gibt. Im Gegenteil: Ich habe viele junge Leute kennengelernt, die eigene Firmen gegründet haben und damit auch erfolgreich waren. Aber auf diese Leute zu stoßen, ist eher ein Zufall. Auf Coworking-Spaces, wie sie digitale Nomaden in vielen anderen Ländern kennen, bin ich in all den Jahren kein einziges Mal gestoßen.

5) Kalte Winter: Machen wir uns nichts vor: viele digitale Nomaden suchen sich einen Ort, wo sie dem tristen zentraleuropäischen Winter entkommen können. Mit wenigen Ausnahmen bietet China in dieser Hinsicht ganz wenig Fluchtpotential: In der Nordhälfte des Landes sind die Winter beißend kalt und im Süden gibt es in den Wohnungen in der Regel keine Heizung. Du hast dann zwar 12 Grad vor der Haustür – aber eben auch im Wohnzimmer.

Guilin

Diese Städte bieten besondere Vorzüge

Beijing: Ich verbrachte die meiste Zeit meines Chinaaufenthalts in der chinesischen Hauptstadt. Mir gefiel das Leben dort. Die Stadt ist sehr international und es gibt eine lebendige Expat-Community. Die Innenstadt mit der (teilweise etwas künstlich wirkenden) Altstadt und den vielen Cafés und Bars mit ihren Dachterrassen fand ich einfach super. Nachteilig sind die Luftverschmutzung und die ständigen Staus.

Shanghai: Auch der Kopf des Drachens, wie die ostchinesische Metropole Shanghai genannt wird, hat digitalen Nomaden einiges zu bieten: Eine grandiose Skyline, tolle Ausflugsziele in der näheren Umgebung und im Gegensatz zu Peking deutlich bessere Luft- und Verkehrsverhältnisse. Nachteil ist das feuchte Klima, das vor allem im Winter in den unbeheizten Wohnungen das Wohlbefinden auf eine sehr harte Probe stellt.

Shenzhen: Shenzhen liegt bei Touristen selten auf dem Radar. Aber für digitale Nomaden bietet Shenzhen eine Reihe von Vorteilen. Am Wichtigsten ist die Nähe zu Hongkong (per Ubahn in einer bis zwei Stunden erreichbar), was dir sehr hilft, wenn du dein Visum erneuern musst. Zweitens besteht die Bevölkerung der jungen Stadt fast ausschließlich aus relativ jungen Zuwanderern aus anderen Provinzen, die in der Stadt für eine spannende regionale Vielfalt sorgen und die generell gegenüber neuen Bekanntschaften sehr aufgeschlossen sind.

Sanya: China ist nicht für Strände und tropisches Klima bekannt. Die einzige Stadt, die mit einem solchen Flair aufwarten kann, ist Sanya an der südlichsten Spitze der Tropeninsel Hainan. Hier findest du besten Strände Chinas und jede Menge Chinesen in Urlaubsstimmung. Die wichtigsten Vorteile: Obwohl Hotels in der Ferienregion durchaus ihren Preis kosten, sind Wohnungen spottbillig und auch das Essen kostet kaum etwas. Zudem ist nirgendwo im Land die Luft so sauber wie auf Hainan. Diese Vorzüge erkaufst du dir allerdings mit einer relativen Abgelegenheit: Wann immer du die Ferieninsel verlassen willst, musst du entweder ins Flugzeug steigen, oder eine lange Bus- oder Zugfahrt einplanen.

Touristenorte wie Lijiang, Dali, Fenghuang: Diese Kleinstädte, die häufig noch über intakte historische Zentren verfügen, sind wunderschön und sollten auf keiner Reise fehlen. Als Arbeitsort für digitale Nomaden halte ich sie jedoch für ungeeignet: erstens raubt dir das allnächtliche Rampazampa der Touristen leicht den Schlaf, zweitens gibt es an den Touristenorten zwar oft recht günstige Unterkünfte und viele Cafés, aber immer mehr Orte verlangen happige Eintrittspreise und drittens hast du in diesen kleinen Orten ziemlich schnell alles gesehen.

Dies war ein Gastartikel von Oliver. Er ist ein freischaffender Journalist aus der Schweiz und bloggt auf weltreiseforum.com über das Reisen mit dem Rucksack und auf sinograph.ch über das Leben in China. Danke, Oliver!