Corona – Todesstoß für das Digitale Nomadentum?

Digitale Nomaden haben die Welt erobert. Oder zumindest Teile davon.

Abertausende Menschen haben sich in den letzten 10 Jahren ihren Laptop geschnappt und sind in die Welt hinaus gezogen. Das Ziel: Ihre Arbeit von unterwegs erledigen und die „ultimative Freiheit“ leben.

Vor allem in Thailand, Bali, Vietnam, Mexiko, Medellin und ein paar Landstrichen in Europa merkt man ihren Einfluss. Besonders jetzt, wo sie verschwunden sind.

Ich kann den rasanten Wachstum der letzten Jahre bezeugen, habe ich doch auch meinen Teil zur Verbreitung des Begriffs beigetragen. An manchen Orten dieser Welt, wie auch hier in meiner Wahlheimat Chiang Mai, sind Digitale Nomaden Teil des Ökosystems geworden. Sie bringen Geld in die Stadt. Sie trinken Unmengen an Café Latte, bewohnen Apartments für die doppelte Miete und sind somit meist herzlich willkommen! Nun sind sie, genau so wie all die Touristen, verschwunden. Die Stadt ist leer.

Flashback 2019. Die Welt erschien in den letzten Jahren aus den Augen eines Digitalen Nomaden im Grunde wie ein Dorf. Heute hier, morgen da. Hauptsache Coworking, Community, Sonne und Internet. Man wurde von der Verheißung „Lebe den Traum“ gelockt – und so war es auch. Die letzten Jahre waren für einen wirtschaflich halbwegs erfolgreichen Nomaden wie im Traum. Es schien kein Ende in Sicht – wieso auch?

Doch dann kam 2020 und alles war anders. In nur wenigen Monaten ist die Traumblase der Nomaden erst einmal geplatzt. In kürzester Zeit wurden Grenzen geschlossen, Einreisebestimmungen verschärft, Menschen in ihre Heimatländer ausgeflogen. Ein Alptraum-Szenario wurde plötzlich Wirklichkeit. Der Traum der ultimativen Ortsunabhängigkeit beendet oder zumindest auf Eis gelegt – unklar ob und wie die Welt danach aussehen wird und ob das nomadische Leben danach jemals wieder so sein wird, wie es war.

Fast ein bisschen wie ein jahrelanger Drogenexzess, dem nun erst einmal der harte Entzug folgt. Wir Nomaden sitzen fest! Vielleicht nicht alle in Deutschland, aber irgendwo auf diesem Planeten, an einem (hoffentlich gemütlichen) Ort, an den wir erst einmal gekettet sind. Einzige Option ist (wenn überhaupt) die Rückkehr nach Deutschland.

Das Gute ist, dass unsere örtliche Freiheit auf unserer Fähigkeit zur Remote-Arbeit beruht. Eine Fähigkeit, die nun gefragt ist, wie nie zuvor, wenn auch aus ganz anderen Gründen.

Quarantäne hält uns zumindest nicht vom Arbeiten ab. Und sicher gibt es besonders für uns Nomaden aktuell eine Vielzahl an Möglichkeiten, die Corona-Pandemie beruflich auch ein Stück weit zu unserem Vorteil zu nutzen. Aber das gibt uns nicht unsere Reisefreiheit zurück. Wir leiden an einer Adrenalin- und Dopamin-Unterversorgung, die wir zuvor durch das Reisen gestillt haben und die uns nun höchstens Instagram und Netflix liefern können.

Die Zukunft war schon immer ungewiss. Heute ist sie jedoch noch ungewisser. Es ist schwerer, sich über Wahrscheinlichkeiten ein Bild von ihr zu machen. Langsam deutet sich das viel beschriebene „neue normal“ an – auch wenn dieses Jahr sicherlich turbulent bleibt und uns noch so manche Überraschung erwarten wird. Aber zumindest ist die Welt langsam dabei, wieder längerfristige Lösungen zu suchen.

Das wird sicher auch bald den Reiseverkehr betreffen. Noch wissen wir nicht, wie dieses „neue Reisen“ aussehen wird. Aber es wird sicherlich für eine ganze Weile komplizierter. Teurer. Teilweise auch riskanter.

Einzelne Länder werden die Grenzen unter strengen Auflagen und neuen Regeln wieder öffnen. Flugzeuge werden wieder fliegen, aber die meisten Menschen – Nomaden eingeschlossen – werden sich zweimal oder dreimal überlegen, ob sie eine Reise antreten. Nomaden suchen sich ein Basislager, und bleiben länger.

Das Ganze bedeutet auch: Reisebewegungen werden wieder bewusster durchdacht und seltener nur von Langeweile, Adrenalin-Sucht oder „drei Grad mehr“ getrieben sein.

Reisen bewusster durchdacht? Das klingt ja eigentlich gar nicht so schlecht. Fast so ein bisschen, als hilft uns jemand dabei, von unserem Drogenexzess herunterzukommen, aber uns zugleich weiterhin einen kleinen, gelegentlichen Rausch zuzugestehen. Hat das nicht vielleicht sogar etwas Gutes?

Vielleicht ja auch die Chance, noch einmal in sich zu hören, ob man sich wieder auf ein Zuhause einigen kann. Notfalls auch zwei oder drei davon.

Ich sehe die Pandemie als das, was sie ist. Eine Tragödie für viele Menschen. Gesundheitlich und wirtschaflich. Ohne Frage.

Aber auch als eine unglaubliche Chance, sich selbst zu hinterfragen. Sich selbst neu auszurichten. Gestärkt mit einem guten Plan in die Zukunft zu gehen. Vielleicht ja als Digitaler Nomade, der seine Reisebewegungen deutlich herunterfährt, und den damit verbundenen positiven Aspekten eine Chance gibt.

Was denkst du?