Mit Unsicherheit leben lernen
Es gibt zwei Wege, Unsicherheit zu akzeptieren. Eine Möglichkeit ist, bewusst die eigene Komfortzone zu verlassen und auf diese Weise zu entdecken, dass Ungewissheit gar nicht so furchtbar ist. Eine andere Möglichkeit kommt eher unfreiwillig: Tragische Ereignisse können uns aus der Komfortzone katapultieren und wir lernen den Umgang mit Ungewissheit auf die harte Tour.
Egal ob durch einschneidende Erlebnisse oder durch bewusste Entscheidung: Wer einmal mit der Ungewissheit im Einklang ist, der wird danach ziemlich sicher nicht mehr der selbe Mensch sein. Zumindest berichten die meisten Menschen, dass sich ihr Leben ab diesem Zeitpunkt radikal verändert hat. Auch bei mir war es so.
Angst ist immer die größte Gefahr
Angst ist extrem gefährlich und zwar auf vielerlei Ebenen. Streit und Misstrauen erwachsen beispielsweise aus Angst. Sie kann mitunter ganze Kriege auslösen. Angst manipuliert uns – nicht nur in der Werbung oder in der Politik.
Genau so gefährlich ist Angst eben auch in Bezug auf das eigene Leben. Sie kann dazu führen, dass ein gesamtes Menschenleben in Unzufriedenheit vergeht – nur um Ungewissheit zu vermeiden und somit der Angst vor eben jener zu entgehen.
In einem reichen Land wie dem unseren kann man sein Leben vermeintlich frei von jeder Ungewissheit führen – oder sich zumindest in dem Gefühl wägen, es sei so. Vorraussetzung dafür: Feste Strukturen, genaue Pläne fürs Leben, sichere Renten, Versicherungspolicen für jede noch so kleine Gefahr, Festanstellungen und Kündigungsschutz.
Man kann es sich innerhalb seiner Komfortzone so richtig gemütlich machen und sich einfach in den Sessel sacken lassen, die Füße hochlegen und sich lieber mit anderen Menschen beschäftigen als mit sich selbst. All dies während die Lebensuhr fröhlich weiter tickt.
Der gleiche Ort als Komfortzone?
Manch einer verbringt sein gesamtes Leben am gleichen Ort. Schließlich ist dort alles vorhersehbar und sicher. Heimat ist Komfortzone pur. Warum sie dort leben, wo sie leben – diese Frage stellen sich dabei die wenigsten Menschen. Am Geburtsort zu leben, das ist schliesslich keine bewusste Wahl, sondern ein Schicksal.
Stell dir vor, du würdest dich bewusst für einen Ort entscheiden, indem du dir die Frage stellst: „Warum bin ich hier? Warum lebe ich dort, wo ich lebe?“ Wer später einmal an seinen Geburtsort zurückkehrt, der entscheidet sich hierzu bewusst. Wer niemals weg war, der hat schlichtweg keinen Vergleich.
Nicht ohne Grund ist das Reisen oder das Leben an neuen Orten einer der besten Wege, sich mit der Ungewissheit anzufreunden. Zumindest, wenn man es richtig macht und nicht ausschließlich mit Neckermann-Reisen am Hotelpool liegt.
„Menschen bevorzugen meist Unzufriedenheit gegenüber Ungewissheit.“ (Tim Ferriss)
Dabei ist Ungewissheit wirklich etwas Tolles, wenn man einmal gelernt hat, mit ihr umzugehen.
Ungewissheit aushalten und Freiheit gewinnen
Ja, sie raubt mir manchmal meinen Schlaf. Oft macht sie mich verrückt und sicher hat sie dazu beigetragen, dass ich mit 33 schon so manches graues Haar habe. Die Ungewissheit ist kein Kuschel-Freund. Eher die Kategorie „fordernde Freundschaft mit Streit-Potential“.
Ich weiß wovon ich spreche, denn so ungewiss wie heute war mein Leben noch niemals zuvor. Abzusehen, wo ich nächstes Jahr zur gleichen Zeit in meinem Leben stehen werde, ist nahezu unmöglich. An schlechten Tagen beunruhigt mich diese Vorstellung zutiefst. An guten Tagen ist sie mein größtes Glück, denn sie führt am Ende des Tages dazu, dass ich nie zuvor so zufrieden war, wie heute.
Die Freiheiten, die ich gewonnen habe, sind jedes einzelne graue Haar für mich dreifach wert.
Ich habe in den letzten Monaten gut verdient. Mittlerweile ist es das Doppelte meines alten Angestellten-Gehaltes. Als Angestellter wäre ein solches Monatseinkommen für mich undenkbar gewesen.
Trotzdem ist es nicht das gleiche, denn ich lebe in der ständigen Gefahr, dass der nächste Monat wesentlich schlechter ausfällt. Meine Einnahmen können jederzeit einbrechen. Ich bin somit gezwungen, etwas zurückzulegen. Die Ungewissheit ist vor allem finanziell noch mein ständiger Begleiter. Das Kartenhaus kann theoretisch in kurzer Zeit zusammenbrechen.
Notgroschen habe ich zwar – aber sie sind überschaubar. Gerade genug, um halbwegs beruhigt und gelassen zu bleiben. Trotzdem bleibt das Risiko hoch. Alle meine derzeitigen Einkommensquellen sind instabil. Morgen können Sie versiegen.
Fazit
Ich weiß nicht, ob mich auch im nächsten Monat ein neuer Kunde anrufen wird. Ich weiß nicht, ob morgen noch jemand meine E-Books kauft. Ich weiß nicht, ob meine neue Geschäftsidee Früchte trägt oder nicht. Ungewissheit soweit das Auge reicht.
Erst im vergangenen Jahr habe ich dabei begriffen, wie wichtig es als Selbstständiger ist, sich auf das „hier und jetzt“ zu konzentrieren. Wenn ich ständig an das Eintreten des „worst case szenario“ denke, dann würde ich durchdrehen.
Ich habe keine Arbeitslosenversicherung. Ich habe kein Netz mit doppeltem Boden. Was ich habe, das ist: Freiheit und Ehrgeiz. Dazu kommt Zufriedenheit und so viel Arbeitsmotivation, das diese von hier bis zum Vallis Snellius reicht (und das liegt übrigens nicht auf der Erde).
Ein etwas dickeres Polster, das wünsche ich mir schon. Ein wenig mehr Sicherheit, das gebe ich zu. Insgesamt hat das Anfreunden mit der Ungewissheit mir aber ermöglicht, ein wesentlich zufriedeneres Leben zu führen. Die Ungewissheit ist mittlerweile mein Freund geworden. Freunde fürs Leben.